1. WAS IST GASLIGHTING ?
Gaslighting (das im Québec auch als „cognitive Umkehrung“ bezeichnet wird) ist eine Manipulations- und Missbrauchstechnik, bei der Informationen und Situationen verzerrt sowie die Aussagen des Opfers infrage gestellt werden, um die Rollen von Täter und Opfer zu vertauschen und zukünftigen Missbrauch zu begünstigen.
Der Name dieser Praxis stammt aus dem Theaterstück „Gas Light“, in dem ein Ehemann versucht, seiner Frau einzureden, sie bilde sich ein, dass sich das Gaslicht nachts verändere, obwohl er selbst dafür verantwortlich ist, um seine wahren Absichten zu verbergen.
Diese Praxis basiert auf der Wiederholung eines Beziehungsmusters und ist kein Einzelfall.
Die Dynamik ist sehr asymmetrisch: Auf der einen Seite steht ein Partner, der ständig auf den anderen hört und dessen Worte mehr Gewicht beimisst als seinen eigenen Wahrnehmungen. Auf der anderen Seite steht ein Partner, der die Wahrnehmung des anderen ständig negiert und dessen emotionale Erfahrungen sowie Fähigkeiten herabsetzt.
Aus einer Gaslighting-Interaktion geht ein Partner gestärkt und als Sieger hervor, während der andere geschwächt wird.
Gaslighting kann viele Formen annehmen, wobei einige häufige Verhaltensweisen sind:
- Die Komplexität einer Situation übertreiben, um den anderen zu verwirren („Es ist komplizierter, als du denkst. Das würdest du nicht verstehen.“)
- Eine komplexe Situation vereinfachen, damit sich das Opfer schwach und hilflos fühlt („Wenn du unzufrieden bist, geh doch einfach. Ich halte dich nicht auf, die Tür ist offen.“)
- So tun, als verstehe man das Opfer nicht („Ich verstehe nicht, was du redest, das ist Unsinn.“, „Ich verstehe nicht, was ich falsch gemacht habe.“)
- Die Erinnerungen des Opfers vehement infrage stellen, selbst wenn sie korrekt sind („Ich habe das nie gesagt, du irrst dich/du lügst.“)
- Dem Opfer einreden, dass seine Bedürfnisse und Emotionen trivial oder zu groß sind, um alleine damit fertigzuwerden („Du übertreibst.“, „Du bist zu empfindlich.“, „Du bist zu zerbrechlich.“)
- So tun, als hätte man vergessen, wie Dinge abgelaufen sind, oder leugnen, dass sie wirklich so passiert sind.
- Beleidigungen und verbale Gewalt anwenden, oft getarnt als Humor.
- Das Problem auf das Opfer projizieren, anstatt es selbst zu übernehmen („Es tut mir leid, dass du es so empfindest [nach einer Handlung des Täters]“, „Das Problem bist du, nicht die anderen.“)
Zusammengefasst: Der Täter mindert die Bedeutung der emotionalen Erfahrungen des Opfers, bringt es dazu, an seinen eigenen Wahrnehmungen zu zweifeln, blockiert Gespräche, wenn das Opfer versucht, sich Gehör zu verschaffen, und schiebt die gesamte Verantwortung auf das Opfer ab.
Gaslighting ist eine Manipulationstechnik, die sich über längere Zeiträume entwickelt, indem sie nach und nach die mentalen Abwehrmechanismen des Opfers abbaut und mit der Zeit immer wirkungsvoller wird.
Diese Praxis tritt selten isoliert auf und dient oft dazu, weitere Übergriffe zu erleichtern und eine dominierende Beziehung aufrechtzuerhalten.
3. WELCHE AUSWIRKUNGEN HAT GASLIGHTING ?
Durch das ständige Infragestellen ihrer Aussagen und Wahrnehmungen beginnen Opfer von Gaslighting, an sich selbst, ihren Erinnerungen und Handlungen zu zweifeln. Dies kann auch mit dem Gefühl einhergehen, verrückt zu werden.
Das Opfer verliert nach und nach das Selbstvertrauen, da seine Äußerungen ständig in Frage gestellt werden und seine persönliche Erfahrung geleugnet wird.
Es traut sich immer weniger, seine Gefühle oder Sichtweisen auszudrücken, da die Reaktionen des Täters extrem oder psychisch gewaltsam sein können.
Wenn der Missbrauch vom Täter (und manchmal vom Umfeld) geleugnet oder normalisiert wird, beginnt das Opfer zu glauben, dass die Situation normal ist, was dazu führt, dass es keine Hilfe sucht, selbst wenn diese notwendig wäre.
In den meisten Fällen sind auf lange Sicht die Abwehrmechanismen des Opfers durch die Häufung der Übergriffe deaktiviert. Die erlernte Hilflosigkeit hindert das Opfer daran, sich zu wehren oder zu fliehen, da es überzeugt ist, dass es zwecklos ist, dass es es nicht schafft oder dass es noch schlimmer wird, wenn es versucht, auszubrechen.
In seltenen Fällen, die heute weniger häufig vorkommen, konnte Gaslighting sogar zur Einweisung des Opfers in eine psychiatrische Einrichtung führen.
3. WIE KANN MAN EINEM GASLIGHTING-OPFER HELFEN ?
Beim Umgang mit einem Gaslighting-Opfer ist besondere Vorsicht geboten, da seine Wahrnehmung der Realität äußerst fragil ist. Selbst in Abwesenheit des Täters wird das Opfer seine Erfahrungen, Emotionen und Erlebnisse hinterfragen. Es ist wichtig, unbeabsichtigt kein weiteres Gaslighting zu fördern.
Man kann damit beginnen, das Opfer zu bitten, die Ereignisse so zu erzählen, wie es sie in Erinnerung hat, wobei der Fokus auf seinem Bericht und seinen Erfahrungen liegt, unabhängig davon, was andere später erzählt haben. Wenn das Opfer seine Gefühle ausdrückt, ist es wichtig, diese zu bestätigen und zu normalisieren.
Anschließend sollte daran gearbeitet werden, das Gleichgewicht zwischen dem Vertrauen in die eigene Stimme und dem Vertrauen in die Stimmen anderer herzustellen. Beispielsweise kann man auf Ereignisse zurückgreifen, bei denen der Täter nicht anwesend war, um zu sehen, ob das Opfer auch in diesen Momenten an seinen Erlebnissen zweifelt.
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass das menschliche Gedächtnis fehlerhaft ist, insbesondere in Stresssituationen. Es ist normal, sich nicht an jedes Detail perfekt zu erinnern. Das allgemeine Gefühl der Ereignisse bleibt jedoch weitgehend intakt.
Die Arbeit mit einem Gaslighting-Opfer kann sehr lange dauern. Es geht darum, ein verzerrtes Bild der Realität zu dekonstruieren, um wieder Vertrauen in die eigene Erfahrung zu gewinnen. Es ist wichtig, dass das Opfer keinen Kontakt mehr zum Täter hat, der möglicherweise noch intensiver manipulieren könnte, wenn er merkt, dass sich das Opfer entzieht.
In jedem Fall, wenn Sie vermuten, dass jemand Opfer von Gewalt und Missbrauch ist, besteht die Priorität darin, die Person in Sicherheit zu bringen, bevor therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden.